Prof. Dr. Dieter Ronte

Prof. Dr. Dieter Ronte
Kunsthistoriker


Dieter Liedtke
Oder
Vom richtigen Umgang mit und durch Kunst.

I
„Bilde Künstler, rede nicht.“ Dieser Goethesatz hat im deutschsprachigen Raum vehemente Folgen. Während in den meisten Ländern die bildende Kunst der Moderne und sich mit Manifesten und Theorien erklärt und schmückt, Doppelbegabungen gefeiert werden, nicht akademisch ausgebildete Künstler Furore machen , sind in Deutschland selbige entweder nur als Dichter oder nur als Bildhauer, nur als Schauspieler usw. anerkannt. Der Satz hat bis heute seine Gültigkeit nicht verloren. Der Künstler findet möglichst früh seine ästhetische Nische, in der er zeitlebens verbleibt, weil er sie auch als eine ökonomische Nische erfahren hat. Das heißt, er hat Angst vor dem Wechsel, vor seiner eigenen Neugier, vor Veränderung im Handeln wie im Denken. Die Potentiale des Kunstwollens werden bewusst eingeschränkt.

Diesem Satz des Geheimrates hat sich Dieter Liedtke stets verweigert. Er sieht sich selbst als Künstler, Philosoph, Wissenschaftler, Visionär, Unternehmer und Erfinder, z.B. als Entwickler von Gegenständen des täglichen Bedarfs. Er verbindet die, Philosophie und Forschung miteinander. Er erarbeitet Patente.

Liedtke bezieht in der Welt der bildenden Künste eine Sonderstellung ein, die ihn angreifbar macht und zugleich einmalig in der Konsequenz seines Handelns. Die Angriffe stören ihn nicht, er wirkt weiter, er gründet 1994 sogar ein eigenes Museum in Port d´ Andratx auf Mallorca, ein Ort der spanenden Diskurse über das Leben und die Kunst. Denn Liedtke ist mit Leidenschaft auch der Vermittler für ein breites Publikum, nicht der introvertierte Künstler, der sich angstvoll in seinem Atelier versteckt. Ein wichtiges Argument ist, das er nie akademisch degeneriert worden ist, sondern sich immer in völliger Freiheit für seine Tätigkeiten entscheiden konnte.

Liedtke sucht nach den Formeln des Lebens in den verschiedensten Bereichen. Er verbindet Wissenschaft mit Kunst und findet seine berühmte Kunstformel, die immer wieder Ausgangspunkt für neue unterschiedliche bildnerische Werke wird.


II
In seinen Überlegungen versucht er immer wieder unterschiedlichste, wissenschaftliche Disziplinen miteinander zu verbinden, um aus dem größeren Kreis des Wissens, die richtigen Schlussfolgerungen für eine Kunstformel zu entwickeln.
In den sechziger Jahren ist Düsseldorf der richtige Ort für die Suche nach einer neuen Bewertung der Kunst, nach der Suche für neue Aufgabenstellungen in der Kunst. Während z.B. ein Gerhard Hoehme 1968 in seinem künstlerischen Manifest sich gegen jedes Dogma wehrt, das ihn vielleicht in seiner künstlerischen Freiheit einschränken könnte, sucht seine Gegenpart und Gegenspieler an der Düsseldorfer Akademie, Joseph Beuys, mit Vehemenz nach einer neuen Formel, mit der die Kunst anders und erweitert definiert werden kann. Alle seine Schüler berichten immer wieder von dieser Suche nach der neuen Kunst, als gesellschaftliche Aufgabe. Beuys spricht von der Neubewertung des Menschen in der Gesellschaft und definiert seine neue Formel in den Bitburger Gesprächen 1978 als: Kunst = Kapital. Er begleitet diese neuen Vorstellungen von Kreativität mit seiner Free University als die neue Fähigkeit aller Menschen, also nicht nur die einer einzelnen Künstlerpersönlichkeit.

Auch er bezieht wissenschaftliche Überlegungen aus dem Nicht- Kunstbereich mit ein. Liedtke und Beuys verbinden, wie in der Renaissance, im Grunde genommen alle menschlichen Fähigkeiten miteinander, wie sie sich in den Wissenschaften und den Künsten darstellt. Heutige Universitäten beginnen seit einigen Jahren diesen Ansatz zu verwirklichen, indem sie völlig neue Studienangebote formulieren, wie z.B. Politik, Philosophie und Ökonomie.

Beuys begleite seine Vorstellungen durch seine Fluxus – Performances, in denen die Erklärung oft, analog zu seinem intellektuellen anthroposophischen Partner Rudolf Steiner, auch Schultafeln niedergeschrieben werden. Diese Gedankengänge führen oft zu verkürzten Formeln, die sich nur schwer entziffern lassen. Deshalb: Kunst = Kapital einprägsam und als Formeln der Jungen Kunst in einer nicht mehr gestützten kapitalistischen Gesellschaft eindringlich formuliert.
Für die posthumen Kuratoren stellte sich aber sofort die Frage, ob das Werk ohne die Person des Künstlers noch verständlich und vermittelbar ist, so in der Ausstellung Parallelprozesse (Kunstsammlung NRW, 2010), die versuchte eine Antwort auf die Frage, was bleibt von Beuys zu geben. „He doesen`t need tob e there,“ formulierte es Marina Abramovic über die soziale Plastik als Gesamtkunstwerk.

III
Für das Denken von Dieter Liedtke sind diese Überlegungen nicht unwichtig, zumal er gerne immer wieder mit Beuys verglichen wird, als der neue Renaissance Künstler (Dieter Liedtke auf den Spuren Leonardos; Welt am Sonntag 1995) als der zweite Beuys, der mit seiner Kunst die Gesellschaft revolutionieren will.


Liedtkes Formel von: Leben + Bewusstseinserweiterung = Kunst ist aber nicht als eine Einschränkung des künstlerischen Denkens zu verstehen. Kunst ist oft durch Regeln, wie z.B. Josef Albers mit seiner Interaction of Colors, oder die Suprematisten mit ihrem Manifest, und durch die Bildfestlegungen der Ikonographie, Vorgaben der Aufraggeber, politische Vorgaben an einen idealisierenden Realismus im Faschismus und Kommunismus usw. in ihrer autonomen Freiheit eingeschränkt worden.


Deshalb spielen in den Überlegungen Liedtkes die Geschichte der Menschheit, seine Verfehlungen und seine Erfolge, natürliche und medizinische Forschungen ebenso eine Rolle wie viele weitere Felder des menschlichen, wissenschaftlichen Denkens. Kunst wird als Verortung der chronologischen unterschiedlichen Festlegungen hinaus das spektakuläre Zeichen für die Freiheit der Kunst. Die Formel ist keine Garantie für das Kunst machen, sondern für das Kunst verstehen. Und zwar eben nicht nur die Kunst der Gegenwart, sondern die Kunst aus allen Jahrhunderten und Jahrtausenden.


Wie Liedtke haben andere Wissenschaftler wie z.B. Bruce H.Lipton, der in seinem Buch Intelligente Zellen. Wie Erfahrungen unsere Gene steuern (2015, deutsche Ausgabe 2018) die Trennung der Wissenschaften auflöst und für eine Zusammenheit von heute, morgen und gestern plädiert, die nicht zwischen den Nationen, Kontinenten usw. stecken bleiben. Stattdessen wird Toleranz zu einer positiven, kulturellen Energie. Hier werden die künstlerischen Überlegungen der sechziger Jahre wieder aufgenommen, Kunst als eine Offensive für eine besseres Selbstverständnis zu verstehen und nicht die Ökonomisierung der Kultur als Werke jenseits seiner Inhaltlichkeit zu verstehen.


Die Formel von Liedtke ist eine binäre Formel und sie erinnert, besonders in der intelligenten graphischen Version des Künstlers, an die Formel der Relativitätstheorie von Albert Einstein, deren Richtigkeit sich immer wieder und lange nach der Formulierung als richtig erweist, weil Formel Zukunft in sich trägt und sich nicht als Abschluss des Denkens versteht. Sie bezieht durch die Kunstwerke die Gegebenheiten der Vergangenheit ebenso wie die der Gegenwart und der Zukunft, die zum erweiterten Verständnis eines Kunstwerkes beitragen wird und es aus seiner Gegenwartsbindung befreit, ein.


Die Formel von Liedtke ist eine Erweiterung menschlichen Denkens und Verstehens. Sie formuliert keine Vorgabe an die Kunst, sondern sie vermittelt den besseren Umgang mit der Kunst. Die Forderung in ihr ist auch die Freiheit der Kunst und nicht die heute oft so zu sehende Abhängigkeit der Künstler von Themenausstellung, in der das Kunstwerk nur noch der optische Beleg für die Richtigkeit einer sozio – kulturellen oder politischen These ist ( z. B. letzte Dokumenta in Kassel ). Liedtke bezieht sich weder auf das Kunstwerk als Dokument noch auf das Kunstwerk als Kapital. Denn Liedtke glaubt an den Reichtum eines Kunstwerkes, an seine Vielfalt und nicht an die heute so gerne vorgestellte „Verreindeutigung der Welt“ (Thomas Bauer, Stuttgart 2018). Ein Kunstwerk kann nicht nur im einengenden Kontext gezeigt werden, sondern auch als ein Kosmos, in dem die Zukunft hineinwächst und dass aus dieser Kosmos-Zukunft Antworten auf Fragen zu unserer gesellschaftlichen Evolution gibt, die der Künstler zwar noch gar gekannt und intendiert haben kann aber die er doch durch Intuition im Kunstwerk Jahrzehnte vorher belegt und manifestiert und so dem öffentlichen Erkenntnisweg zugeführt hat. So wie mit den offenen Zukunftsfragen zu unserer Gesellschaft in seinen Werken, geht er auch mit den Rätseln der Monumente unserer Kulturgeschichte in seinen Kunstwerkserien um und deckt verlorengegangene und nicht bekannte Aspekte des Wissens auf, die Jahrzehnte später durch archäologische und neurobiologische und epigenetische Forschung ihre Bestätigung finden und uns Antworten und Lösungsvorschläge zu einer besseren und ethischen Zukunftsentwicklung geben können. Zusammenfassend leitet er aus Vergangenheits- und Zukunftsschau Leitfäden und Handlungen für den ersten Gestaltungsversuch eines Gesamtkunstwerks „Neue Welt“ ab den er in der Ausstellung „New Renaissance“ vorstellt. Deshalb interessiert ihn, in der Gesamtschau unserer gesellschaftlichen Entwicklung, die ältere Kunst aus der tiefsten Vergangenheit. Liedtke bekämpft wie Bauer den fatalen Hang, Bedeutungsvielfalt zu verdrängen. Liedtkes Credo: „Die Auflösung der Be-Grenzungen der Kunst und Kunstgeschichte oder des Bewusstseins durch Kunst.“

IV
Liedtke öffnet die Wege zur Offenheit, Kreativität, Spontaneität ebenso wie zur Reflexion: Kunst als eine agierende Philosophie des menschlichen Lebens, eine Philosophie für die Freiheit eines jeden einzelnen Individuums.
Liedtke formuliert die gesellschaftlichen Werte mit seiner Kunstformel, die Unvoreingenommenheit des Erkennens und Sehens oder das Sehen als Erkenntnis begründen. Diese Gedanken können wir auch in den Werken des Künstlers selbst ablesen, die aufzeigen, dass er nicht in einer früh gefunden Nische der Ästhetik verbleibt, weil diese Nische auch zu seiner ökonomischen geworden ist. Keine Stilbindung, sondern die Vielfalt des Ausdrucks als persönliches Schöpfen, das sich als kein ideologisches, sondern als individuelle Expression der Intuition und des Denkens realisiert. Die Formel ist keine Einengung der Kunst, sondern eine Option, ein hoffnungsvoller Schritt in die Zukunft des Gestaltens und Rezipierens.


Die neuen Freiheiten lassen sich in den Kunstwerken wie in den vielen Büchern von Liedtke verfolgen. Immer aber bliebt es gesichert, dass der Seher und Leser keinem pädagogischem Finger folgen muss. Er wird aber aufgefordert, sich selbst einzubringen, mit zu sehen, seine eigenen Erfahrungen zu reflektieren und mit einem erweiterten Bewusstsein voran zu gehen.
In der modernen Kunst spielen die sogenannten autodidakten Künstler (die Maler der Brücke, Kandinsky, Matisse usw.) eine besondere Rolle, da sie nie akademisch degeneriert, also durch Anpassung verdorben worden sind, und auch deshalb nicht den sogenannten Regeln folgen mussten. Mit Liedtke, dem autodidakten bildenden Künstler, erfahren wir durch seine vielen Bücher mit wissenschaftlichen Inhalten, dass er auch der autodidakte Wissenschaftler ist, der mit freiem Blick und freiem Denken Inhalte erforscht hat, die erst später von den sogenannten Wissenschaftlern erforscht wurden und es damit bis zum Nobelpreis gebracht haben. Liedtke lebt mit einem besonderen, ausgeprägten Bewusstsein, das Jürgen Kaube in „Hegels Welt“ (Berlin, 2020) in Bezug zu dem großen Philosophen Hegel als „Könnensbewusstsein“ beschreibt.


Liedtke ist in der Kulturwelt eine einzigartige Figur, die immer wieder neue Impulse setzt. Er sucht das neue Sehen in die Geschichte als Zukunftsorientierung einzubringen, was zugleich mit einer Auseinandersetzung, um nicht zu sagen Kampf, gegen die traditionellen, gesellschaftlich bedingten veralteten Formen verbunden ist, an denen eine Gesellschaft normalerweise hängt. Liedtke sucht Erkenntnis und nicht die Unterhaltung der Gesellschaft, die sich aber nicht verändern will. Liedtke verbindet die reine Ästhetik der Schönheit mit den Mitteln sozialer Aktion. Die Formel zum Kunstschaffen führt zu einer stringenten Rezeption, ohne die Freiheit der Kunst zu schmälern. Zugleich widerspricht die Formel der Dominanz der Politik über die Kultur. Sie formuliert ein universelles Denken in einem gemeinsamen kulturellen Kontext.


Deshalb heißt das Motto des Museums in Portd` Andratx auch Codigo Universo, also der universale Kode, oder eben die art open Kunstformel. Denn Kunst ist ein Gesetzt, dass die Gesetze aufhebt. Die neue Ausstellung wird davon eine mehr als überzeugendes Bild abgeben. Denn die Fragen stellen sich immer wieder neu. Die Werke als traditionelle Erfahrungen werden in der Gegenwart befreite, autonome Akteure: Leben + Bewußtseinserweiterung = Kunst.

Dieter Ronte
Bonn im Oktober 2020

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